„Gott“ im südslawischen Volkslied

Autor/innen

  • Petra Himstedt-Vaid

Abstract

Zur Einführung in die Thematik wird überblicksartig dargestellt, in welchen Liedern und zu welchen Themen Gott im südslawischen Volkslied besungen wird. Die Lieder lassen sich zwei Themenkomplexen zuordnen, Lieder, in denen es um das Wohl der christlichen Gemeinschaft geht – beispielsweise Gott als Beschützer der christlichen Gemeinde, Prüfung der Gläubigen, Hilfe beim Kampf gegen die Osmanen und die drohende Zwangskonvertierung zum Islam, Paradiesvorstellungen –, und andererseits Lieder, in denen Gott das Leben einzelner Menschen bestimmt oder in ihr Leben eingreift – beispielsweise hilft Gott den Liebenden durch ein Wunder, Gott erfüllt Kinderwunsch, oft in Kombination mit der conceptia magica, der wunderbaren Empfängnis, Gott erweckt Menschen zum Leben oder verwandelt sie in Tiere oder Bäume, Gott straft aber auch, beispielsweise den Inzest zwischen Bruder und Schwester. Gott ist im südslawischen Volkslied Herr über Leben und Tod.

Ausführlicher wird Gott in den vermutlich synkretistischen Liedern dargestellt, in denen die Einordnung Gottes nicht eindeutig christlich ist. Anhand dieser Lieder wird diskutiert, ob es sich bei dem im südslawischen Volkslied dargestellten Gott nicht eher um einen antiken Totengott oder ein okkultes Wesen handelt.

Ein im südslawischen Raum weit verbreitetes Motiv ist das von Gott oder Petrus, der in den Wolken eine Burg aus toten Menschen erbaut. Den Beginn der Motivkette bilden wohl Lieder mit der Vila/Fee als Haupthandlungsträgerin, die ähnlich dem aus der griechischen Volksdichtung bekannten Charos tote Menschen als Baumaterial für einen Turm oder Zelt verwendet. Wie der Todesdämon Charos ruft Gott in einer makedonischen Variante alle Feen, Vilen und Winde zusammen, damit sie für ihn auf die Jagd nach Seelen gehen, um die Fertigstellung seiner Kirche im Himmel zu gewährleisten. Und in einer bulgarischen Variante schickt Gott seine Schwester, die Pest, als Mordende aus, um ihm Seelen zu beschaffen. Ebenfalls aus einem griechischen Charoslied ist das Motiv vom Gebet der Schlange übernommen worden, in dem eine Schlange Gott bittet, ein im Gras schlafendes Mädchen zu töten, damit sie in seinem Haar nisten und sich von ihm ernähren kann. Erstaunlich ist auch die von Gott gewährte Bitte eines Hajduken für Dunkelheit zu sorgen, damit der Hajduke das von ihm begehrte Mädchen lieben kann. Und auch in dem serbischen Heldenlied „Tod des Königssohns Marko“ stellt sich die Frage, was für ein Gott als „alter Blutvergießer“, als Henker, charakterisiert wird?

Autor/innen-Biografie

Petra Himstedt-Vaid

Forschungsschwerpunkte:

  • Folkloristik der Südslawen und ihrer Nachbarn
  • Volksglaube
  • Rezeption der südslawischen Volksdichtung

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Veröffentlicht

2014-01-10

Zitationsvorschlag

Himstedt-Vaid, P. (2014). „Gott“ im südslawischen Volkslied. Zeitschrift für Balkanologie, 50(2). Abgerufen von https://www.zeitschrift-fuer-balkanologie.de/index.php/zfb/article/view/357

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